Sonntag, 1. Oktober 2017

Von den letzten Tage im Leben der heiligen Therese von Lisieux und ihrem Sterben (1/5)

Gegen Ende September erzählten wir unserer Kranken einmal, daß in der Erholung die Rede gewesen sei von der Verantwortung jener, welchen die Leitung der Seelen anvertraut ist; da war es, als lebte sie etwas auf, und dann sprach sie die schönen, bedeutsamen Worte: „Die Kleinen werden mit großer Milde gerichtet werden.“ (Sap. 6,7) Man kann ganz gut ‚klein‘ bleiben, selbst wenn die schwerste Verantwortung auf einem ruht, denn es steht geschrieben: „Die Erde ward stille, als der  Herr kam, um Heil zu schaffen, allen Sanftmütigen und Demütigen auf Erden.“ (Ps 75,9.) Der Herr spricht also nicht vom Gerichte, sondern vom Gerettetwerden.

Die Flut der Leiden sollte bei Schwester Therese immer noch höher steigen. Ihre Schwäche wurde so groß, daß sie ohne die Unterstützung anderer nicht mehr die kleinste Bewegung machen konnte. Sprechen zu hören, selbst wenn es im Flüsterton geschah, verursachte ihr qualvolle Peinen; das Fieber und die großen Beklemmungen gestatteten ihr nicht, auch nur ein einziges Wort hervorzubringen, ohne daß sie zu Tod erschöpft wurde. Aber selbst in diesem Zustande wich das sanfte, liebenswürdige Lächeln nicht von ihren Lippen. Zog ein Schatten über ihr Antlitz, so war es einzig die Sorge, den sie pflegenden Schwestern vermehrte Mühe und Arbeit zu bereiten.

Bis zum Vorabend ihres Todestages wollte sie nachts allein bleiben, die Krankenwärterin stand jedoch jede Nacht mehrmal auf, um nach ihr zu sehen, obgleich die liebe Schwester sie immer wieder bat, sich doch nicht durch sie in der Nachtruhe stören zu lassen.

Bei einem dieser Besuche nun fand sie die Kranke eines Nachts mit gefalteten Händen, die Augen zum Himmel gerichtet: „Was tun Sie denn“ fragte sie dieselbe; „Sie sollten doch wenigstens versuchen zu schlafen.“
Ich kann nicht, liebe Schwester, meine Schmerzen sind zu groß. Darum bete ich …
„Und was sagen Sie denn dem lieben Heiland?“
Ich spreche gar nichts, ich ‚liebe‘ ihn nur.“

O wie gut ist doch der liebe Gott,“ rief sie mitunter. „Er muß aber auch sehr gut sein, um mir alle nötige Kraft zu geben, meine Leiden zu ertragen.

Eines Tages sagte sie zu ihrer Mutter Priorin: „Meine liebe Mutter, ich möchte Ihnen gerne den Zustand meiner Seele offenbaren, aber ich vermag es nicht, ich bin jetzt gerade zu sehr angegriffen.“

Am Abende dann ließ sie ihr folgende mit Bleistift geschriebenen Zeilen zustellen, die sie mit zitternder Hand niedergeschrieben hatte: „O mein Gott, wie gut bist du gegen das kleine Schlachtopfer deiner erbarmenden Liebe. Auch jetzt, da sich die äußeren Leiden den inneren Prüfungen zugesellen, kann ich nicht sagen: „Die Schrecken des Todes haben mich umgeben.“ (Ps. 17, 5.) Aber in tiefster Dankbarkeit rufe ich aus: „So ich auch wandle mitten im Todesschatten, werde ich dennoch kein Unheil fürchten, weil du, o mein Gott, bei mir bist.“ (Ps. 22, 4.)

(Aus: Die ehrwürdige Theresia vom Kinde Jesu, Geschichte einer Seele von ihr selbst geschrieben, 4. Aufl., Kirnach-Villingen (Baden) 1922, S. 251ff.)

Bervor Therese Karmelitin werden konnte, sprach sie bei Papst Leo XIII. vor.
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