Sonntag, 22. November 2015

Das Göttliche

(Zum Fest des hl. Johannes vom Kreuz am 14. November / 14. Dezember)

Keine Schönheit dieser Welt
wird mein Herz je einmal fesseln,
sondern nur – ich weiß nicht was –,
das sich wohl noch einmal findet.

Lust am Gut, das endlich ist,
kann zu anderem nicht frommen,
als die Sinne abzustumpfen
und den Überdruss zu wecken.
Alle Süßigkeit der Welt
soll drum nie mein Inn’res fesseln,
sondern nur – ich weiß nicht was –,
das sich wohl noch einmal findet.

Edelmüt’ge Herzen sind
nie bestrebt, sich zu erwerben,
was sie leicht entbehren können,
nur was schwer ist zu erlangen.
Nichts kann ihnen da genügen,
und so hoch steigt kein Vertrauen,
dass sie kosten – ich weiß nicht was –,
das sich wohl noch einmal findet.

Wer da ist von Liebe krank,
angeweht von Gottes Wesen,
dessen Sinn ist so verwandelt,
dass ihm nichts mehr Freude macht.
Er ist gleich dem Fieberkranken,
den der Speisen Anblick ekelt,
und begehrt – ich weiß nicht was –,
das sich doch noch einmal findet.

Und man darf darob nicht staunen,
dass der Sinn ist so bestellt,
da, was diese Krankheit schuf,
fremd ist allen andern Dingen.
Und so siehet er sich dann
aller Kreatur entfremdet,
und er liebt – ich weiß nicht was –,
das sich doch noch einmal findet.

Ist des Menschen Willenskraft
einmal nur von Gott berühret,
kann sie nichts zufrieden stellen
als dieselbe Gottheit nur.
Doch weil ihrer Schönheit Pracht
nur dem Glauben sichtbar ist,
kostet er – ich weiß nicht was –,
das sich doch noch einmal findet.

Sagt nun, ob ihr wohl beklagt
einen solchen Liebestrunk’nen,
weil von allem, was geschaffen,
nichts ihm Freude bieten kann?
Weil er ohne Stab und Stütze,
ohne Formen und Gestalt
da genießt – ich weiß nicht was –,
das sich doch noch einmal findet.

Glaubt nicht, dass der inn’re Mensch,
der viel höhern Wertes ist,
Freude findet und Genuss
an den Lüsten dieser Welt.
Über aller Schönheit Pracht
und was ist und war und sein wird
kostet er – ich weiß nicht was –,
das sich wohl noch einmal findet.

Wer sich wahrhaft fördern will,
der ist mehr um das besorgt,
was noch zu gewinnen ist,
als um das, was er schon hat.
Darum streb’ mit ganzer Seele
immer ich ob aller Wünsche
dem nur zu – ich weiß nicht was –,
das sich wohl noch einmal findet.

Nichts von allem, was hienieden
je der Sinn erfassen kann,
nichts, was der Verstand versteht,
wie erhaben es auch sei,
keine Anmut, keine Schönheit
wird mein Herz je fesseln können,
sondern nur – ich weiß nicht was –,
das sich wohl noch einmal findet.

Übersetzung: Weinhart, in:
Des Heiligen Johannes vom Kreuz Sämtliche Werke in fünf  Bänden,
Theatiner Verlag, München, 1925

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