Samstag, 16. Juli 2016

Unsere liebe Frau vom Berge Karmel (16. Juli)

Die Karmelitin

Sie ist eine Seele, dargebracht,
Geopfert für Gottes Ruhm,
Mit ihrem Christus hängt sie am Kreuzespfahl,
Doch wie ist ihr Kalvaria voll Licht!
Da sie das göttliche Opfer geschaut,
Erstrahlt in ihrer Seele ein Licht;
Sie begriff  ihren erhabenen Beruf
Und ihr verwundetes Herz rief: Hier bin ich.

Sie ist eine Seele, die im Sturm Er nahm,
Voll des Christ, um Ihn immer zu spenden,
Wie die Jungfrau hat Gott sie erwählt
Tag und Nacht Ihm zu Füßen zu weilen.
In dieser Gefang'nen, seht wohl,
Hört nimmer auf  das Gebet;
Ihre Seele ist Beute, in Ketten ganz,
Von Christus reißt nichts mehr sie los.

Eine Seele in Anbetung ist sie,
Ausgeliefert dem göttlichen Tun,
Ihm durch alles hindurch vereint,
In der Höhe das Herz, von göttlichem Feuer entflammt.
Sie fand das Eine, das Nötige,
Gottes Wesen, Liebe um Liebe,
Sie hüllt in ihr Gebet die Welt,
In wahrem Apostolat.

Eine verschlossene Seele ist sie
Den vergänglichen Dingen der Welt;
Aber offen und voller Licht
Zu schaun, was das Auge nicht sieht.
Der göttliche Adler trägt sie ins Licht,
Auf  die erhabenen, leuchtenden Gipfel,
Sie zu bergen in des Vaters Haus,
Zu vollenden im Eins mit Gott.

(Sr. Teresia Benedicta a Cruce OCD / Edith Stein
Geistliche Texte II, 20)


Profess einer Karmelitin






Samstag, 25. Juni 2016

Dein Antlitz, o Herr!

Schwester Maria Celina vom hl. Antlitz OCD - (Hermana Celina María de la Sta Faz ocd) – Unbeschuhte Karmelitin des Klosters Santa Fe in Argentinien, ist vor ihren Bräutigam getreten. Christus erwartete sie, als sie für den Himmel bereit war, am 23. Juni 2016, da sie, im Alter von 43 Jahren, nach langem Leiden einer schweren Krankheit (Z
Lungen-Krebs) erlegen ist.

Betet für die Seele der Karmelitin Celina María de la Sta Faz!

Die Familie der Schwester und einige Freunde haben mehrere Fotos zur Verfügung gestellt.






Freitag, 3. Juni 2016

Deutschsprachige Karmelitinnen in Rom

Fotoaufnahme anläßlich einer Fortbildung für Karmelitinnen 
an der Kurie der Unbeschuhten Karmeliten in Rom im Mai/Juni 2016 
mit Pater Christof Betschart OCD.



Samstag, 16. Januar 2016

Zur Heiligsprechung der Eltern der hl. Therese von Lisieux



Der Brief des Ordensgenerals der Unbeschuhten Karmeliten
Pater Saverio Cannistrà OCD
zur Heiligsprechung der Eltern der hl. Therese von Lisieux
am 18. Oktober 2015.


Liebe Schwestern und Brüder im Karmel,

am […] 18. Oktober [2015], wird Papst Franziskus auf dem Petersplatz die Eheleute Louis Martin und Zélie Guérin, die Eltern der hl. Therese von Lisieux, heiligsprechen und sie damit der gesamten Kirche als Vorbilder für das christliche Leben vor Augen stellen. Sie sollen zur Inspirationsquelle und zu Gefährten auf unserem Weg werden und uns Mut, Licht und Ermutigung schenken.

Das ist für uns alle Grund zu großer Freude und Dankbarkeit gegenüber dem Herrn, wo wir gerade die Feier des 500. Geburtstages der hl. Teresa von Ávila, der Mutter unserer Ordensfamilie, beendet haben, die von der Kirche selbst als ein Ort anerkannt ist, der besonders reich ist an glaubwürdigen Zeugen für Gottes Schönheit und Liebe.

Diese Heiligsprechung ist ein weiteres Zeichen, mit dem uns der Herr zur Stärkung unseres Glaubens und zur Ermutigung auf unserem Weg als Karmeliten beschenkt, die wir berufen sind, die „kämpferische Sanftmut“ (Evangelii gaudium 85) des Bräutigams zu erfahren, der mit seiner Liebe die Hoffnung in den Herzen aller Menschen entzünden möchte. Wir leben in einer von tiefen Umwandlungen geprägten Zeit, die global alle Bereiche des menschlichen Lebens betreffen, wie Gebräuche, Kultur, Religion, Gesellschaft, Wirtschaft, was Spannungen und Ängste hervorruft. Es entstehen Gefühle der Unsicherheit und des gegenseitigen Misstrauens, Situationen der Ungerechtigkeit und Instabilität, die das friedliche Zusammenleben und das Vertrauen unter den Menschen auf eine harte Probe stellen, was für ein gemeinsames und ersprießliches Zusammenleben unerlässlich ist.

Die biblische Sicht des Menschen mit seiner zweifachen Ausformung als Mann und Frau und das damit verbundene Verständnis seiner Bedeutung für das Leben sind nicht mehr Allgemeingut, sondern werden hinterfragt. Im Mittelpunkt dieser Auseinandersetzung um das Leben steht die natürliche Familie, die auf der schlichten Anerkennung der gottgegebenen Unterscheidung in Mann und Frau begründet ist. Das erlaubt es, in einem auf gegenseitige Liebe gegründeten Bund das menschliche Leben nicht nur für sich, sondern für jedes menschliche Wesen zu zeugen, zu behüten und wachsen zu lassen.

Die Heiligsprechung der Eheleute Martin ist ein Zeichen der Zeit, das uns im Tiefsten in Frage stellen muss, da sie einen epochalen Wert hat. Die Kirche hat unter Leitung des Hl. Geistes zum ersten Mal in ihrer Geschichte entschieden, am Weltmissionssonntag während der 24. Ordentlichen Bischofsynode zu Berufung und Sendung der Familie ein Ehepaar heiligzusprechen.

Eine exemplarische Familie?

Es sind 150 Jahre vergangen, seit Louis und Zélie um Mitternacht des 12. Juli 1858 in Alençon geheiratet haben, und seitdem hat sich vieles in der Kirche und in der Kultur Europas verändert. Inwiefern können ihre Ehe und die Geschichte ihrer Familie für uns heute exemplarisch sein, wenn die Familie in der Theorie und weitgehend auch in der Praxis heute von dem, was diese beiden geglaubt und gelebt haben, so weit entfernt ist?

Zuallererst muss man sich von den Vorurteilen und kulturellen Klischees frei machen, die alles, was mit dem 19. Jahrhundert zu tun hat, als antiquiert und überholt abtun.

Wenn wir das Leben der Familie aus der Nähe betrachten, sehen wir einen Mann und eine Frau, die eine gemeinsame Geschichte haben, geprägt von Ereignissen, in denen wir uns auch noch wiederfinden können, weil sie dem Leben entspringen: Sie heiraten, nach den damaligen Vorstellungen nicht mehr ganz jung – sie 27, er 35 Jahre alt, als sie sich kennenlernten – und führen ein gemeinsames Leben, indem sie Tag für Tag lernen, ihre Fähigkeiten, ihre Verantwortung, die Lasten, Freuden und Schmerzen miteinander zu tragen. Louis führte ein Uhrengeschäft, Zélie hatte in Eigenverantwortung mit der Herstellung der berühmten Alençoner Spitzen begonnen. Ihre Arbeit sicherte ihnen einen gewissen Wohlstand, ohne diesen zur Schau zu stellen oder sehr besorgt zu sein, wiewohl der Krieg von 1870/71 zwischen Frankreich und Preußen die wirtschaftliche Lage schwieriger gemacht hat.

Gemeinsam zu arbeiten, neun Kinder zu bekommen, sich um sie zu kümmern, den Tod von vier von ihnen im Kleinstkindalter zu ertragen war gewiss nicht leicht, insbesondere für Zélie, die als Unternehmerin auch Arbeitgeberin und somit auch für das Auskommen ihrer Arbeiterinnen und deren Familien verantwortlich war. Louis stand ihr immer zur Seite und trug mit Gelassenheit die Lasten seiner Frau mit. Er stärkte sie durch seine beständige Nähe und entschloss sich, als er seine Frau immer erschöpfter erlebte, seine Arbeit aufzugeben, um ihr um so mehr unter die Arme zu greifen, besonders als sie von ihrer Krankheit heimgesucht wurde, die 1877 zu ihrem Tod führte, als sie erst 46 Jahre alt war.

Louis hatte von da an bis zu seinem Tod, der 17 Jahre auf sich warten ließ, das Los eines Witwers zu tragen, gezeichnet von einer demütigenden Erkrankung, die ihn seiner geistigen Fähigkeiten beraubte. Er sorgte für seine fünf Töchter und deren Ausbildung und entschloss sich, die Übersiedlung von Alençon nach Lisieux in Kauf zu nehmen, damit sie von der Tante Celine betreut werden könnten, die ihnen mit großer Zuneigung verbunden war. Alle fünf Töchter traten in ein Kloster ein. Sie dabei zu begleiten, besonders seine Lieblingstochter Thérèse, bedeutete für ihn kein kleines Opfer; doch lebte er es als selbstlosen Akt der Hingabe seines Lebens und seiner Kinder an Gott, wie er es zusammen mit Zélie schon führte; hatte er doch für seine Familie das Motto von Jeanne d‘Arc gewählt: Zuerst Gott dienen.

Die Ehe – Berufung und Freundschaft

Die Aufzählung einiger konkreter Erfahrungen der Eheleute Louis und Zélie Martin führt uns schnell zu ähnlichen Erfahrungen vieler Familien heute, die wirtschaftliche Probleme bewältigen, den schnellen Rhythmus ihrer täglichen Arbeit mit der Erziehung der Kinder vereinbaren und den vielfältigen Beschwerden des Alltags einen Sinn abringen müssen, die unerbittlich an die Türe klopfen und den Familienfrieden auf die Probe stellen. Doch der Grund, warum die Kirche das Zeugnis ihres Ehelebens für vorbildlich hält, ist viel tiefer und bezieht sich auf die Wahrheit der menschlichen Liebe im göttlichen Schöpfungsheilsplan.

Wenn wir an die Wurzel ihrer Erfahrung gehen, entdecken wir schnell zwei Züge, die sie aktuell machen und uns zeigen, wie eine Liebesbeziehung „funktionieren“ kann, so dass wir besonders den jungen Paaren ein Wort des Trostes sagen können, die aufgrund so vieler Erfahrungen des Scheiterns nicht mehr glauben, dass Treue möglich ist und sich so mit einer eher niedrigen Erwartung an das Leben zufrieden geben, obwohl die Sehnsucht im Herzen bleibt. Der erste Zug ist, die Ehe als Berufung zu betrachten. Darauf sind Louis und Zélie durch ihre Lebensgeschichte vorbereitet worden, da beide daran gedacht hatten, ihr Leben als Christen Gott in einem Orden zu weihen. Natürlich ist es nicht das, was die Beispielhaftigkeit ausmacht; es ist viel mehr die Sensibilität und Bereitschaft, die eigene Existenz zu verstehen und zu empfangen als einen Dialog mit dem Schöpfer selbst, der einen guten Plan hat und auf dem Lebensweg Hinweise aufstellt, die einem wachen Menschen zeigen, welches der Weg zur Stillung der Sehnsucht des eigenen Herzens ist. Nur so, wenn man das, was von Gott kommt, als Geschenk betrachtet und lernt, den anderen als den Liebesblick des Vaters zu betrachten, ist es möglich, sein Lebenshaus auf ein solides Fundament zu gründen. Das wurde Zélie klar, als sie beim Überqueren der St.- Leonhard-Brücke in Alençon in sich die Stimme hörte: "Das ist der Mann, den ich für dich vorgesehen habe.“

Der zweite Zug ist eine direkte Folge dieses Blickes und dieser Öffnung des Herzens: Die Beziehung mit der Gattin bzw. dem Gatten als Freundschaft zu leben. Die Achtung und der Respekt, die sich aus der Spontaneität, sich ohne eigenes Zutun als Verbündete zu erleben, und dem wohltuenden Gefühl ergeben, dem anderen eine Hilfe zu sein, befähigen zu Geduld, Demut, Beharrlichkeit, Zärtlichkeit, Vertrauen und Neugierde, die nötig sind, damit eine Beziehung nicht zu einer Selbstsuche im anderen verkommt oder zum Versuch, über ihn Macht auszuüben, oder sich in Routine erschöpft. In Ausdrücken wie „Im Geiste folge ich Dir den ganzen Tag und sage mir: "Jetzt tut er dies. Es wird mir sehr lang, bis ich wieder bei dir bin, mein lieber Louis. Ich liebe Dich aus ganzem Herzen und fühle, wie sich meine Liebe verdoppelt durch die Entbehrung Deiner Gegenwart; es wäre mir unmöglich, fern von Dir zu leben" (31. August 1873 [145]).1 „Ich bin immer noch sehr glücklich mit ihm, er macht mir das Leben recht angenehm. Mein Mann ist wirklich ein Heiliger. Ich wünsche allen Frauen einen solchen Mann – das ist mein Neujahrswunsch für sie“ (1. Januar 1863 [8]); oder „dein Mann ist ein echter Freund, der dich mehr liebt als das Leben“ – in diesen Ausdrücken ist nichts Süßliches, sondern sie sind das Zeichen für eine ehrliche und solide Zuneigung.

Die unterschiedlichen Empfindsamkeiten und die vielen kleinen Zwischenfälle im ehelichen Alltag, die mitunter zu einer Entfernung führen und die Intimität abkühlen, werden von Louis und Zélie als Gelegenheiten gelebt, das eigene Anderssein mit einem Blick voll Sympathie und zärtlicher Annahme einzuüben, wie aus diesem Briefauszug hervorgeht: „Wenn Du diesen Brief bekommst, bin ich dabei, Deinen Arbeitstisch zu ordnen. Du musst nicht böse sein, ich werde nichts wegwerfen, nicht einmal ein altes Metallplättchen, nicht ein Endchen von einer Feder. Dann findest Du alles – oben und unten – schön sauber. Du wirst mir nicht sagen, ich habe den Staub nur ‚verschoben‘; Du wirst keinen mehr finden. […] Ich umarme Dich von ganzem Herzen und bin so glücklich heute beim Gedanken, Dich wiederzusehen, dass ich nicht arbeiten kann. Deine Frau, die Dich mehr liebt als ihr Leben“ (ohne Datum 1869 [59]).

Die Weitergabe des Lebens: Zeugen und Erziehen

Zu Beginn war es für Zélie und Louis nicht leicht, sich für das Leben zu öffnen. Es ging für sie darum zu verstehen, dass die aus ganzem Herzen zu Gott kommende Liebe sich durch die totale Hingabe an den Ehegatten vollzieht; dass sich der Vater seiner Schöpfung annehmen kann, um seine Kirche als Familie der Kinder Gottes aufzuerbauen. Der Ehrlichkeit ihres Suchens nach Gottes Willen und ihrem Hören auf den sie begleitenden Priester ist es zuzuschreiben, dass sie die Schönheit der Berufung zur Ehe begriffen, die sie allerdings ursprünglich in Enthaltsamkeit leben wollten. Insgesamt gingen neun Kinder aus ihrer Ehe hervor, die ihrer beider Leben mit Freude erfüllte. „Als wir unsere Kinder bekamen, änderte sich unsere Einstellung etwas. Wir lebten nur noch für sie, und das war unser ganzes Glück, und wir fanden es nur noch in ihnen. Nichts wurde uns mehr schwer; die Welt lastete nicht mehr auf uns. Für mich waren die Kinder der schönste
Lebensinhalt; darum wollte ich auch viele bekommen, um sie für den Himmel zu erziehen. Vier von ihnen sind bereits untergebracht, und die anderen nun, sie kommen auch ins himmlische Reich, und zwar mit mehr Verdiensten, weil sie länger darum gerungen haben“ (4. März 1877 [316]). In diesem Ausschnitt scheinen einige wichtige Aspekte auf, die die Beziehung zu den Kindern erhellen, woran die Familien bis heute lernen können: Die Geburt eines Kindes als ein Geschenk zu sehen, und zwar immer, weil es von Gott kommt und zu ihm hinführt, auch wenn sein Leben nur kurz oder vom Schmerz gezeichnet sein sollte. Erziehen heißt dann, zur Kenntnis des eigenen guten Ursprungs hinführen, also zum Vater; sodann die Sehnsucht nach dem Himmel zu wecken und die irdische Existenz mit ihren Mühen, Einsätzen und Leiden als Vorbereitung darauf zu leben, als etwas Wertvolles und mit Vertrauen und Liebe Angenommenes, als Schritt auf einem Weg, der zum Ziel führt und den Wert der Person wachsen lässt.

Das wirkt überzeugend und wird zur Wahrheit, die das Gewissen formt und die Schritte im Leben stärkt, wenn die Kinder es in ihren Eltern inkarniert sehen und es gleichsam einatmen als etwas, was dem Leben und Tun Sinn verleiht. Das Streben Zélies nach Heiligkeit für sich selbst und für ihre Lieben war eine Konstante, auch angesichts der eigenen Grenzen und der verlorenen Zeit: „Ich will eine Heilige werden, und das wird nicht leicht sein, es gibt viel abzubauen, und das Holz ist steinhart. Es wäre besser gewesen, früher damit anzufangen, als es noch leichter war; aber ‚besser spät als gar nicht‘“ (1. November 1873 [150]). Ihrem Bruder schreibt sie am 29. März 1874: „Es macht mir Freude zu wissen, dass Du in Lisieux sehr angesehen bist; Du wirst ein verdienstvoller Mann werden; darüber bin ich sehr froh, aber ich wünsche vor allem, dass Du ein Heiliger wirst“ (29.März 1874 [159]). Auch gegenüber der von ihrem Charakter her schwierigen Tochter Léonie, die in der Schule als „schreckliches Kind“ bezeichnet wurde – „das arme Kind steckt voller Fehler, es steckt darin wie in einem Mantel. Man weiß nicht, wie man Einfluss auf Léonie bekommen soll“ – fehlt es ihr trotz des bedrückenden Bewusstseins ihrer großen Grenzen nicht an einem auf den Glauben an Gottes Güte und die Hingabe an seinen Heilsplan sich gründenden Vertrauen: „Aber Gott ist so barmherzig, ich habe immer gehofft und hoffe weiter“ (21. Januar 1877 [301]). Aus dem Zeugnis der hl. Therese kennen wir gut den vertrauten Umgang von Louis mit Gott, und wie dieser auf seinem Antlitz aufschien: „Manchmal füllten sich seine Augen mit Tränen, die er vergeblich zurückzuhalten versuchte; er schien bereits nicht mehr der Erde anzugehören, so sehr liebte es seine Seele, sich in die ewigen Wahrheiten zu versenken;“ „ich brauchte ihn nur anzusehen, um zu wissen, wie Heilige beten.“

In einem solchen Klima wird das Übernatürliche zu Leben und die Dinge dieser Welt werden geradezu natürlich aus einer Perspektive der Ewigkeit beleuchtet. So kann die Familie ihre ursprüngliche Eigenart wiedergewinnen, die in unserer Zeit oft missverstanden wird, nämlich „der erste Ort zu sein, wo wir lernen, uns mitzuteilen“, wobei „Mitteilung als Entdeckung und Auferbauung von Nähe“ zu verstehen ist (Botschaft von Papst Franziskus zum 49. Welttag der sozialen Kommunikationsmittel, 17. Mai 2015).

Ein einfühlsames, gastfreundliches und selbstloses Paar

Die Aufmerksamkeit für den anderen und die Dankbarkeit für sein Sosein, die im ehelichen Alltag geübt und in das moralische und geistliche Wohl der Kinder einströmte, hat in der Familie Martin in der Form selbstloser Liebe, Aufnahme von Armen und dem Gespür für Notleidende eine wichtige Ergänzung erfahren. Die Liebe zu Gott ist, wenn sie echt ist, untrennbar mit der Liebe zum Nächsten verbunden, besonders zu dem, der Hilfe braucht. Es gibt viele Ereignisse im Leben von Zélie und Louis, in denen diese schöne Sorge für den Nächsten sichtbar wird – beginnend bei den wie eigene Töchter behandelten Arbeiterinnen, die bei der Spitzenherstellung halfen (vgl. Brief vom 2. März 1868 [40f.]) –, da in ihnen Christus lebt und sie deshalb Gott ganz besonders am Herzen liegen (vgl. Evangelii gaudium 24.178). Diese Aufmerksamkeit gilt dem ganzen Menschen, seinem leiblichen und seelischen Wohlergehen; sie wird zu einer ausgleichenden Gerechtigkeit, zu Tischgemeinschaft, Suche nach ärztlicher Hilfe und einem Bett für Obdachlose, Spende von Trost als Gottes spürbare Nähe durch die Vermittlung eines Priesters in der Stunde des Hinscheidens, selbstlose Unterstützung von Menschen in Not, Gefallen an der Freude des anderen, Solidarität mit von Leid Heimgesuchten und Besuche bei den Armen.

Die Sorge für die Armen durch die Eheleute Martin gehört zu einer Art von Armut, die im Herzen ihrer Töchter das konkrete Gespür für die Präsenz Jesu und die Wahrheit seines Evangeliums einprägt. Ihre Nüchternheit ist nicht Nachlässigkeit, sondern eine Haltung, die der Veranlagung des Herzens entgegentritt, sich beim Einsatz mit der Zeit, den eigenen Kräften und den geistlichen und materiellen Ressourcen in sich zu verschließen. Freude in der Armut, die menschlich bereichert, nährt sich aus der Erfahrung, seinen eigentlichen Reichtum in der Annahme von Christi Gnade zu haben; die eigenen Schwächen und Fehler brauchen angesichts der Barmherzigkeit Gottes nicht verdrängt zu werden, so dass man dennoch in der Vereinigung mit ihm und in Solidarität mit den Schwestern und Brüdern leben kann, denen man dann auch wieder Barmherzigkeit erweist. Dazu lesen wir bei Zélie: „Mein Gott, wie traurig ist doch ein Haus ohne Religion! Wie schrecklich erscheint dort der Tod! […] Nun, ich hoffe, dass Gott Mitleid mit der armen Frau hat; sie ist so schlecht erzogen, dass sie dadurch zu entschuldigen ist“ (31. Oktober 1875 [215f.]); „Bete viel zum heiligen Josef für den Vater unseres Dienstmädchens. Er ist sehr krank, und ich würde es sehr bedauern, wenn dieser brave Mann ohne Beichte sterben würde“ (22. März 1877 [328]); „Ich war so erschöpft, dass ich selbst krank wurde, […] und musste doch einen Teil der Nacht auf sein, um unser Dienstmädchen zu pflegen“ (11. Oktober 1874 [170]); „Ich habe meinen Mann so lange bearbeitet, bis er sich entschied, einen Teil des Bankkredits zu verkaufen; er tat es mit einem Verlust von 1.300 Frs auf 11.000 Frs, die er zurückbrachte. Wenn mein Bruder Geld braucht, soll er sofort darum bitten, und er möge mir sagen, ob wir auch den Rest verkaufen sollen“ (30. Juli 1871 [93]). „Ich habe ihn gebeten, immer zu uns zu kommen, wenn er etwas brauchte, ihn aber nie mehr gesehen. Zu Beginn des Winters endlich trifft Vater ihn eines Sonntags, als es sehr kalt war; er hatte nackte Füße und fror. Vater war voller Mitleid mit dem Unglücklichen und hat alle möglichen Schritte unternommen, um ihn in einem Hospiz unterzubringen. […] Doch Vater gab nicht auf; er hatte sich diese Angelegenheit zu Herzen genommen, also stellte er von neuem seine Batterien auf, um ihn bei den ‚Unheilbaren‘ unterzubringen“ (3. Dezember 1876 [281f.]).

Die Quelle für die Heiligkeit ihres Lebens

In seiner Homilie bei der Vigilfeier zur Synode auf dem Petersplatz am 3. Oktober hat Papst Franziskus gesagt: "Um die Familie von heute zu verstehen, begeben wir uns ins Geheimnis der Familie von Nazareth, in ihr verborgenes Leben im Alltag und an den Festen, wie es für die meisten Familien heute zutrifft, mit ihren Leiden und schlichten Freuden; in ein Leben mit Gelassenheit und Geduld angesichts von Widerwärtigkeiten, der Achtung vor der Eigenart jedes Menschen und von jener Demut, die im Dienst aufblüht und zur Befreiung führt, und zu einem geschwisterlichen Leben führt, das aus dem Erleben, entströmt, Teil eines einzigen Leibes zu sein.

Die Familie ist der Ort, an dem sich die Heiligkeit des Evangeliums in den ganz gewöhnlichen Bedingungen verwirklicht. Hier atmet man die Erinnerung an die Generationen ein und es werden die Wurzeln geschlagen, die erlauben, weit weg zu gehen. Sie ist der Ort zur Einübung in die Unterscheidung, wo die Hinführung zur Erkenntnis des göttlichen Heilsplanes für das Leben und zu dessen mutiger Annahme geschieht. Sie ist der Ort der Vorleistungsfreiheit und einfühlsamer, geschwisterlicher und solidarischer Präsenz, die lehrt, aus sich herauszugehen, um den anderen aufzunehmen, ihm zu vergeben und selbst Vergebung zu erlangen.“

Diese Beschreibung zeigt uns, inwieweit die Familie Martin im Heute wurzelt. Ihre Heiligsprechung zeigt allen Familien, insbesondere den christlichen, die außerordentliche Schönheit der alltäglichen Dinge, sobald die eigene Lebensgeschichte aus den Händen Gottes angenommen und ihm dargebracht wird mit dem beruhigenden Wissen, dass „es bei all dem das Klügste und Einfachste ist, sich dem Willen Gottes zu ergeben und sich vorzeitig darauf vorzubereiten, sein Kreuz so mutig wie möglich zu tragen“ (12. Februar 1870 [65]). „Wir müssen jetzt besonders in uns die Gesinnung pflegen, den Willen Gottes anzunehmen; er ist immer das Beste für uns, was es auch sei“ (Mai 1877 ohne Datum [349]).

Innerer Friede, gläubige und beharrliche Annahme der Herausforderungen, die das Leben mit sich bringt, die Fähigkeit, die zwischenmenschlichen Beziehungen selbstlos zu leben und den anderen in seiner Einmaligkeit ins Zentrum zu stellen, was den Ehealltag von Louis und Zélie und die Beziehung zu ihren Kindern geprägt hat, sind nicht Frucht besonderer Gnaden oder mystischer Erfahrungen; sie entströmen dem Bemühen, durch Zurücknahme seiner selbst den Willen Gottes ernst zu nehmen und durch den täglichen Sakramentenempfang, die Stärkung der Verbindung mit Jesus in der Anbetung seiner in der Hostie treuen und beständigen Liebe, das Beten in der um Maria versammelten Familie sowie die Teilnahme an den karitativen Tätigkeiten der Pfarrei, trotz vieler Verpflichtungen, am Leben der Kirche teilzunehmen; und bei allem immer Zeit zu haben, den Töchtern zuzuhören, sie mit Entschiedenheit und Liebenswürdigkeit zu korrigieren, ihnen von Jesus zu erzählen und sich in einer Haltung vertrauensvoller Hingabe an seine geheimnisvolle, aber doch konkrete Präsenz um ihre persönliche Entwicklung zu kümmern, um dadurch Raum für Gott zu schaffen. Sich mit Bewunderung und Staunen angeblickt und in der eigenen unwiederholbaren Individualität respektiert und bedingungslos angenommen zu fühlen, auch wenn die eigene Existenz Anlass zum Leiden gibt, ist für den Menschen, dem das zuteil wird, eine Quelle für Wohlergehen und unbezahlbare und unzerstörbare positive Erfahrung. Es ist dies die menschliche Erfahrung, die dem Blick Gottes am nächsten kommt und deshalb das Tor des Herzens aufmacht und fähig macht, die Wege der Heiligkeit zu gehen, wie es diese Familie deutlich zeigt.

Die beständige Suche nach dem vertrauten Umgang mit dem Herrn und seiner Mutter Maria, wie sie Louis und Zélie exemplarisch vorgelebt haben, ist die wertvollste Botschaft, die sie ihren Töchtern und uns, den Söhnen und Töchtern der hl. Teresa, hinterlassen haben. Ihre Heiligsprechung richtet an den Teresianischen Karmel die Einladung, immer mehr Familie zu werden und die Schönheit und Bedeutung unserer Alltagsverpflichtungen zu entdecken und dabei in aller Demut von den Familien zu lernen, die mit Nachdruck ihre Berufung und Sendung leben.

Die Feststellung, dass sich aus einem gläubig gesprochenen Ja Folgen ergeben, die weit über uns hinausgehen und sich in der Welt verbreiten, ist für uns eine große Ermutigung. Mit dem Blick auf die Eheleute Martin und auf die sichtbaren Früchte der Heiligkeit ihres Lebens, ein Herz und eine Seele zu sein, werden wir uns mehr bewusst, dass wir um so mehr Kommunität werden, „die begleiten, feiern und Frucht bringen kann“, je mehr wir lernen zu kommunizieren, und wir verstehen, dass „die schönste Familie – Protagonistin und nicht Problem – jene ist, die vom eigenen Zeugnis ausgehend die Schönheit und den Reichtum der Beziehung zwischen Mann und Frau und jener zwischen Eltern und Kindern zu kommunizieren versteht.“

Mein Wunsch ist, dass wir mit Hilfe der Gnade, die wir durch diese Heiligsprechung erhalten, uns bemühen, das Lebenszeugnis dieses Ehepaares näher kennenzulernen, auch durch die Lektüre ihrer Korrespondenz, und uns kreativ auf den von der Kirche vorgegebenen Weg begeben, die uns einlädt, die Familie von neuem als unverzichtbares Mittel für die Evangelisierung und als Schule für die Menschheit zu entdecken.

P. Saverio Cannistrà OCD
Generaloberer

(Quelle: Treffpunkt ocd 4,2015)


Freitag, 25. Dezember 2015

Teresa von Avila: Wegweisung zum inneren Gebet - Weihnachtsvorlesung

Bei dem nachstehenden Text handelt es sich um einen Vortrag, den Frau Prof. Dr. Marianne Schlosser, anläßlich des Jubiläums der heiligen Teresa von Jesus, im Karmel zu Wemding, am 28. März 2015 gehalten hat. Die Veranstaltung war öffentlich.

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Teresa von Avila: Wegweisung zum inneren Gebet

Marianne Schlosser, Wemding 28.03.2015


Teresa, die große Mystikerin, Gründerin kontemplativer Klöster, die Lehrmeisterin des geistlichen Lebens, zur Kirchenlehrerin erhoben ... kann sie uns im mühsamen Alltag des Gebetslebens helfen?

Es ist tröstlich: Teresa kannte die Schwierigkeit, sich zu „sammeln", wusste, wie es sich anfühlt, wenn die Gedanken keine Ruhe geben und der Verstand „wie ein Verrückter" herumspringt; sie hatte selber (vor ihrer zweiten Bekehrung) Phasen durchlebt, in denen sie nicht gern betete und der Begegnung mit Gott lieber auswich. Als sie für ihre Schwestern im Kloster San Jose (1562 gegründet) eine Anleitung zum Gebet unter dem Titel „Weg der Vollkommenheit" niederschrieb,[1] hatten die genaue Selbstbeobachtung und die Begleitung anderer Personen sie bereits vieles gelehrt. Diesen reichen Schatz an Erfahrung kleidet sie, und das ist wohl auch ein Glücksfall für uns!, bewusst in eine schlichte, gut verständliche Sprache; sie setzt keine Kenntnisse mystisch-theologischer Werke oder spezieller Terminologie voraus, sondern nur das, was allen Christgiäubigen vertraut ist: das Vaterunser, die Unterweisung, die Jesus selbst seinen Jüngern gab, als sie ihn baten: Herr lehre uns beten.

Damit steht Teresas Gebetsunterweisung in einer langen Tradition, die bis in die frühe Christenheit zurückreicht: Schon die Kirchenväter des 2. und 3. Jahrhunderts kommentierten das Gebet des Herrn, weil es Modell für alles christliche Beten ist, eine „Kurzfassung des Evangeliums", an dem alle Gebete sozusagen Maß nehmen müssen. Teresa nennt noch zwei andere Beweggründe für ihren Ansatz: Zum einen sagt sie von sich selbst, dass sie von den Worten des Evangeliums stets tiefer ergriffen worden sei als von Büchern über das Gebet, selbst wenn diese hilfreich sein können (Cap. 21,4). Zum zweiten reagiert sie auf eine im damaligen Spanien schwelende Auseinandersetzung: die Spannung zwischen den sogenannten „Spirituellen", die die lebendige innere Erfahrung betonten, und den „Intellektuellen",   den   Schultheologen.   Die   extrem-spirituelle   Richtung der


„Erleuchteten" („alumbrados") wollten dem innerlichen Gebet, der Kontemplation oder mystischen Erfahrung, sogar einen höheren Rang als den Sakramenten zuweisen. Derartige dem Glauben der Kirche entgegenstehende Theorien hatten das Verlangen nach „innerem Gebet" generell in Verruf gebracht, so dass Seelsorger einfachen Leuten, so auch den theologisch nicht gebildeten Schwestern, den Rat gaben, schlicht „mündliche Gebete" zu verrichten: Es sei sicherer, sich vorgeformter Gebete wie des Vaterunser oder des Avemaria zu bedienen.

Inneres Gebet

Teresa erklärt daher zuerst, dass kein „mündliches Gebet" - also ein mit dem Mund, in vernehmbaren Worten ausgesprochenes Gebet - den Namen „Gebet" überhaupt verdient, wenn es nicht zugleich „innerlich" ist: Bei jedem Gebet kommt es darauf an, dass man mit dem Herzen „dabei" ist. „Dabei zu sein", „an-dächtig" zu sein, bezieht sich aber nicht so sehr auf die Worte, die man ausspricht, sondern auf die Person, zu der man spricht, wie man auch bei großen Theologen wie Bonaventura oder Thomas von Aquin lesen kann. Denn Gebet ist von seinem Wesen her nicht Selbst-Gespräch, sondern Sprechen zu Gott.
Umgekehrt genügt es nicht, damit ein Gebet „inneres Gebet" sei, dass man einfach keine Worte ausspricht, sondern auch hier ist entscheidend, zu wissen, vor wem man steht - „wer Er ist, und wer ich bin":
„Es ist noch kein Zeichen inneren Gebets, wenn man den Mund schließt. Wenn ich mir beim Sprechen der Worte klar bewusst bin, dass ich mit Gott spreche, und meine Aufmerksamkeit mehr auf ihn richte als auf die Worte selbst, so bete ich innerlich und mündlich zugleich." (cap. 22).

In Antwort auf die anscheinend verbreitete Ansicht, für die Schwestern ohne theologische Bildung genüge das Vaterunser und das Ave Maria, und sie sollten sich nicht um Gebetsanleitungen etc. bemühen, die möglicherweise zu Verstiegenheiten führen könnten, schreibt TERESA (cap. 21):
„Genau das meine ich auch, Schwestern, das genügt vollkommen. Es ist immer gut, wenn ihr Gebete, die aus dem Mund des Herrn kamen, zur Grundlage eures Betens macht. Darin haben jene Recht; denn wären wir nicht so schwach und lau, brauchten wir keine anderen Gebetsanleitungen und keine anderen Bücher. Ich wende mich hier an Personen, die nicht gesammelt bei der Betrachtung eines Geheimnisses verweilen können und denen diese Gebetsart künstlich vorkommt; ebenso beziehe ich jene mit ein, die einen so scharfen Verstand haben, dass ihnen nichts genügt. So möchte ich nun auf der Grundlage dieser


Gebete einige Regeln für Beginn, Weiterführung und Endstufe des Gebets darlegen [...]. Mir geht es um eine schlichte Betrachtung der Worte des Vaterunsers."

In den wenigen Worten des Herrengebets, so Teresa, „ist die ganze Kontemplation und Vollkommenheit eingefangen" - es sei ein Gebet für die Anfänger auf dem Glaubensweg genauso wie für die „Starken", d.h. diejenigen, die schon hohe Gnaden empfangen (cap. 37,1). Der gleichen Ansicht ist übrigens auch JOHANNES CASSIAN, der Verfasser grundlegender, das gesamte Mönch turn prägender Werke: Das Vaterunser enthalte alle Vollkommenheit und führe zum „erhabeneren Zustand des Gebetes" (Collationes IX, 25). Wenn man jemand zum Gebet anleiten will - so gut das ein Mensch überhaupt kann -, dann muss man ihn dazu führen, das Gebet des Herrn in rechter Weise zu beten, hineinzuwachsen in dieses Gebet, das. göttlichen Ursprungs ist. Folgerichtig führt Teresa ihre Unterweisung über das Gebet am „Vaterunser" durch (Weg der Vollkommenheit, cap. 27-42). Zuvor - und dazwischen immer wieder - gibt sie grundlegende Hinweise zur Praxis des persönlichen Gebetes:

Erstens: Echte Sehnsucht nach Gottesbegegnung ist mit Demut verbunden, und nicht zu verwechseln mit maßlosem Verlangen nach kontemplativen Erfahrungen (cap. 16-18). Gott führt seine Gläubigen auf verschiedenen Wegen - die Gnade der Kontemplation nicht zu haben, bedeutet nicht notwendig, weniger vollkommen zu sein (z.B. cap. 17,2). Zum kontemplativen Gebet erhebt Gott allein, es ist reine Gnade (cap. 25,2). - „Inneres Gebet" aber, was nicht dasselbe ist wie „kontemplatives Gebet", ist notwendig, damit ein Mensch überhaupt betet. Teresa erinnert ihre Schwestern auch daran, dass man kein „Recht" darauf hat, im Gebet „Tröstungen", freudvolle Empfindungen zu erhalten, auch wenn man sich alle Mühe gibt. Demut heißt vielmehr, sich als „unnütze Magd" zu wissen - in froher Dankbarkeit gegenüber Gottes Gaben, ohne Bitterkeit oder kleinmütige Enttäuschung, ohne ständiges Sich-Vergleichen mit anderen oder versteckten Groll. Teresa vergleicht die Haltung der echten Demut (die Haltung Mariens) mit der Königin im Schachspiel: Sie setzt den König schachmatt (cap. 16,2).

Zum Gebet gehört, zweitens: „dem Herrn entschlossen ein wenig Zeit widmen", und „treu" darin zu sein; denn „mangelnder Umgang bewirkt, dass man sich entfremdet und mit dem anderen nicht mehr zu reden weiß; es ist dann so, als kenne man ihn nicht, selbst wenn er mit uns verwandt ist" (cap. 26,9). Ganz abgesehen davon, dass es kein Zeichen rechter Freundschaft ist, wenn man jemandem etwas verspricht - in


diesem Fall: ein Weilchen zu beten - und es einem dann leid tut, so dass man das Versprochene wieder entzieht. Teresa weiß sehr gut: Zeit zu widmen ist manchmal ein Kampf - gegen innere und äußere Widerstände; sei es dass man sich fürchtet, für zu fromm gehalten zu werden, oder dass man gegen die eigene innere Stumpfheit angehen muss. Man wird aber wachsen in der Stärke, wenn man jeweils den Schritt geht, der einem möglich ist. Beten heißt beten wollen.

Drittens: Das Wesentliche des inneren Gebetes besteht darin, den Blick der Seele auf Christus zu richten (cap. 26,3): „Nicht über ihn (Christus) nachdenken, sondern ihn anschauen", sich der Gegenwart bewusst zu werden. Das heißt, sich klar zu werden, dass der Herr nicht passiv ist, nicht irgendwo „weit weg", sondern seine Augen und sein Ohr bei dem Menschen hat, der jetzt zu ihm betet. Gott ist nicht ein Machwerk meiner Gedanken, nicht ein Gegenstand, über den man nur nachdenkt, sondern Person, er ist Jemand, der den betenden Menschen erwartet. Daher besteht die Beziehung zu ihm nicht so sehr im „Nachdenken", sondern im „Anschauen". Gewöhnt man sich daran, zu Beginn des Betens gewissermaßen ihm die Augen zuzuwenden, dann werde die Gegenwart Christi im eigenen Inneren zunehmend leichter gefunden, verspricht Teresa. Man kehrt nach Unterbrechungen dann auch viel rascher zum Gebet zurück. Oder anders herum gesagt: Christus bleibt so sehr gegenwärtig, dass man „Ihn gar nicht mehr vertreiben kann" (cap. 26,1).


Das Vaterunser - Spiegel des geistlichen Weges

Ein Christ ist jemand, der an Jesus Christus als den Sohn Gottes glaubt - wobei dieser Glaube getragen ist vom Heiligen Geist, dem Geist des Vaters und des Sohnes. Die „Vater-"Anrede des Herrengebetes enthält in sich bereits den Gedanken an Jesus, den Sohn: Wir reden nicht allgemein Gott als Vater aller Geschöpfe an, sondern wir sprechen zu demjenigen, den Jesus „Abba - lieber Vater" nennt, und von dem er den Jüngern sagt: „Euer Vater im Himmel weiß, was ihr braucht". Das Vaterunser ist Gebet „in Christus", in Teilnahme an seiner Beziehung zu seinem Vater. Teresa wird noch konkreter: Jesus spreche uns dieses Gebet gewissermaßen vor; sie betrachtet Jesus als denjenigen, der das Vaterunser in unserem Namen spricht. Wenn wir also das Vaterunser sprechen, stimmen wir in das Gebet Jesu ein und vereinen uns mit ihm: Unser stammelndes Beten wird befreit und vervollkommnet durch ihn. Oder mit einem modernen Autor (Henri Caffarel) gesagt: Jesus will, dass sein eigenes Gebet in seinen Brüdern und Schwestern widerhallt. Teresa entfaltet aus der Vater-Anrede eine Betrachtung der Güte des Vaters, welche


unter den Gläubigen eigentlich alle Überheblichkeit wegen irdischer Vorzüge (Herkunft, Schönheit, Begabung, Besitz) auslöschen müsste (cap. 27,6). Der größte Vorzug, der höchste Adel ist es doch, zu den Brüdern und Schwestern Jesu gehören zu dürfen.

Der Zusatz „im Himmel" (wörtlich nach dem griechischen und lateinischen Urtext: „in den Himmeln") ist besonders wichtig für die „Sammlung" des betenden Menschen. Wo soll man denn Gott suchen, wo ihn sich vorstellen, was heißt „Himmel"? Die Gegenwart Gottes ist nicht irgendwo zu suchen, sondern wie Teresa bei AUGUSTINUS gelernt haben könnte: Der Himmel ist im Inneren des Menschen, wo Gott wohnen will:
„... mir war das eine Zeitlang nicht klar gewesen. Wohl verstand ich, dass ich eine Seele hatte; aber was diese Seele wert ist und wer in ihr wohnt, verstand ich nicht [...]. Hätte ich damals in der gleichen Tiefe wie heute erkannt, dass in diesem kleinen Palast meiner Seele ein so großer König wohnt, hätte ich ihn meiner Meinung nach nicht so häufig allein gelassen ..." (cap. 28,11). Man muss nicht laut rufen - der, den man anruft, ist im eigenen Innersten da. So bringt es auch die bekannte Liedstrophe zum Ausdruck: „Schau, dein Himmel ist in mir, er begehrt dich seine Zier..." (Angelus Silesius). Die Zierde des Himmels ist die Sonne; ohne sie wäre der Himmel dunkel. In Teresas Gleichnis: Das Licht Christi bringt den Kristall der „inneren Burg", welche die Seele ist, erst zum Leuchten.

Die folgenden beiden Bitten: „Geheiligt werde dein Name, dein Reich komme" werden von Teresa zusammenfassend erklärt (cap. 30.31). Hier wird das „Gebet der Ruhe" beschrieben, „der Beginn der reinen Beschauung": „Der Herr versetzt die Seele durch seine Gegenwart in Frieden; denn alle Seelenkräfte werden still." Gott lässt bereits sein Reich des Friedens spüren.

Die Bitte um das „Geschehen von Gottes Willen" ist nach Teresa eine gewaltige Herausforderung; sie auszusprechen erfordert große Liebe und Leidensmut; denn sie ist die Bitte Jesu am Ölberg. Ja, Teresa betont in auffälliger Weise die Bereitschaft zur Kreuzesnachfolge, die mit dieser Bitte ausgedrückt wird.
In der Tat - wer diese Bitte bewusst ausspricht, dem können wohl die Knie zittern. Es kommt vielleicht die bange Frage hoch: Was mag der Wille Gottes sein - Leidvolles? Vielleicht gerade das, was ich nicht will? Die eigene Furcht und Schwäche können spürbar werden. Darum ist hier von großer Wichtigkeit, sich klar vor Augen zustellen, dass der Wille Gottes „heilig" ist, nicht willkürlich oder tyrannisch. „Im Himmel" geschieht dieser Wille leicht und freudig, weil diese Geschöpfe klar


erkennen, dass Gottes Wille das Gute schlechthin ist; aber „auf Erden" ist es noch nicht so weit. Hier geschieht auch vieles, was Gott nur zulässt - freilich nicht einfach passiv, sondern mit der Entschlossenheit und Macht, für diejenigen, die ihm vertrauen und ihn lieben, alles, auch das Leidvolle, zum Besten gedeihen zu lassen (Rom 8,28).
Wer betet: „Dein Wille geschehe", nimmt sozusagen allen Mut zusammen, und gibt seiner auf Gott gegründeten Hoffnung Ausdruck: Ich vertraue Dir, Herr, selbst wenn ich es nicht verstehe, auf welchen Wegen du mich zum Heil führst. Teresa betont, dass diese Bitte nur aus großer Liebe möglich ist, indem man sie mitspricht mit Jesus.

In Teresas Sicht enthält diese Bitte die Lehre über die „vollkommene Beschauung": Wie die Anrufung des Vaters „im Himmel" der Sammlung entspricht, die Bitte um die „Heiligung des Namens und das Kommen des Reiches" dem Gebet der Ruhe, also den ersten Stufen der Beschauung, so entspricht die Bitte um den „Willen Gottes" dem Gebet der Vereinigung (cap. 32,9). Die kontemplative Vereinigung ist eine Vereinigung in Liebe und setzt die Einheit des Wollens voraus, das heißt: die Hingabe des eigenen Willens an den Willen Gottes. Wer die Ölberg-Bitte Jesu mitspricht, bringt sein Verlangen zum Ausdruck, sich dem Vater in vollkommenem Vertrauen ganz zu überlassen - selbst wenn diese vollkommene Zustimmung zum Willen Gottes Leiden mit sich bringt, wie es bei Jesus der Fall war. Ohne die ganze Hingabe wird man Gott nicht ganz empfangen können. Wenn sich aber jemand auf diese Weise Gott überlässt, so Teresa, dann beginnt „der Herr ihr eine solche Freundschaft zu bezeugen, dass er ihr nicht nur ihren Willen zurückgibt, sondern ihr auch noch den Seinen dazu schenkt [...] Er unterwirft sich ihren Bitten, so wie sie den seinen." (cap. 32,12)

Ohne eine besondere Stärkung aber könnte niemand diese Übereignung des Willens an den Vater vollziehen. Teresa sieht die Stärkung in der folgenden vierten Bitte um „das tägliche Brot heute" (cap. 33-35) erbeten und zugesagt: Das „Brot" ist die eucharistische Gegenwart, die im „Heute" dieser Weltzeit gegeben wird, so dass die Gläubigen in der Vereinigung mit Christus den Weg der Kreuzesnachfolge gehen können.
Mit dieser Deutung des „täglichen Brotes" auf die eucharistische Speise steht Teresa nicht allein; im Gegenteil, bis einschließlich des frühen Martin Luther war die Auslegung der Brotbitte als Bitte um das geistliche Brot, die „Seelenspeise", die vorherrschende Deutung, sowohl in der lateinischen Kirche wie in den östlichen Kirchen. Mag sein, dass uns heute diese Deutung überraschend oder befremdlich vorkommt. Aber für Teresa und viele große Theologen der Patristik und des


Mittelalters war sie geradezu sonnenklar - schon weil das Vaterunser in der Messfeier unmittelbar vor der Kommunion seinen Platz hat, gewissermaßen als Tischgebet. Auch die sprachliche Formulierung der vierten Bitte gab zu denken: Warum wird so betont gesagt „unser Brot" - was ist denn „unser" Brot, das Brot derer, die Gott ihren Vater nennen? Und warum enthält die Formulierung eine auffällige Verdoppelung „täglich - heute"? Die größten Kenner der biblischen Sprachen, wie Origenes, Hieronymus und Erasmus von Rotterdam, wandten all ihr Können und Wissen auf, um zu erhellen, was das griechische Adjektiv, das wir in der Übersetzung „täglich" kennen, wirklich bedeutet. Das Wort bleibt geheimnisvoll: es könnte auch als „notwendig", „wesenhaft" oder „zukünftig" übersetzt werden. Auch wenn Teresa philologische Erwägungen nicht vertraut waren, so fiel ihr doch auf, dass mit „täglich" und „heute" scheinbar das gleiche zweimal gesagt werde (cap. 33,4; 34,1.2). Auch spielt sie auf das Johannes-Evangelium an (Joh 6), wo Jesus von sich sagt, er sei das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist, und sein Fleisch sei „eine wahre Speise", die das Manna der Wüstenwanderung überbietet; denn das Manna bewirkte nicht das ewige Leben, anders als „das wahre Brot vom Himmel", das „mein Vater (!) gibt".
Im folgenden Abschnitt (cap. 34) empfiehlt Teresa mit großem Nachdruck, ja mit Begeisterung und Innigkeit, die Zwiesprache und das Verweilen in der Gegenwart Christi gerade nach dem Empfang der hl. Kommunion.

„Vergib uns ... wie auch wir vergeben": Die Bereitschaft zu vergeben wird auch außerhalb des Vaterunsers von Jesus gefordert; der Inhalt ist gewissermaßen ohne Schwierigkeiten zu verstehen. Doch Teresa sieht auch diese Bitte im Gesamtzusammenhang des geistlichen Lebens und seines Wachstums: Vergebungsbereitschaft nennt sie eine „Frucht" und klares Merkmal der Echtheit von empfangenen kontemplativen Gnaden:
„Ich sage es noch einmal: Mir sind viele Personen bekannt, denen der Herr die Gnade erwies, sie zu übernatürlichen Dingen zu erheben, indem er ihnen das oben genannte Gebet, die Beschauung, schenkte; und wenn ich bei ihnen auch noch gar manche Fehler und Unvollkommenheiten fand, so bemerkte ich diesen Mangel [nicht zu verzeihen] doch bei keinem von ihnen und glaube auch nicht, dass er ihnen anhaftet, wenn die Gnaden, wie gesagt, wirklich von Gott sind. Wer also größere Gnaden empfängt, der schaue in sein Inneres und prüfe sich, wie stark diese Wirkungen zunehmen!"

Schwieriger wieder scheint uns die Bitte um Bewahrung vor Versuchung. Für Teresa ist klar und wird nicht weiter, von ihr diskutiert, dass Gott nicht „in Versuchung führt",


dass aber Menschen, die Gott mit ganzem Herzen dienen wollen, sich auf geistliche Kämpfe gefasst machen müssen, ja mutig damit rechnen. Die offenkundigen Angriffe sind jedoch nicht die gefährlichsten, sondern die verborgenen, die den Menschen „täuschen". Die Bitte um Bewahrung bezieht sich nach Teresa vor allem auf zwei besonders gefährliche Versuchungen, die auch im geistlichen Leben bereits Fortgeschrittene befallen können.

Die eine besteht in der Gefahr der Selbstüberschätzung: Weil einem manches mit der Zeit schon leichter fällt, bildet man sich ein, die entsprechenden Tugenden - die ein Geschenk Gottes sind - sicher zu besitzen (cap. 38). Tugenden sind zwar per definitionem eingewurzelte, dauerhafte Haltungen, z. B. Tapferkeit, Geduld, Armut und Losgelöst-Sein etc.; aber wir kennen uns selbst nicht so gut, dass wir beurteilen könnten, wie tief solch eine gute Eigenschaft tatsächlich in uns Wurzeln geschlagen hat. Dies lehrt uns oft erst eine Prüfung, die uns überkommt. Teresa spricht von ihrer eigenen Erfahrung: Oft habe sie wirklich Großes vollbracht, und sei am nächsten Tag über Kleinigkeiten gestolpert - das habe ihr klar gemacht, dass es Gott ist, der die Kraft gibt; sich selbst überlassen ist der Mensch schwach:
„Manchmal bilde ich mir [zum Beispiel] ein, keinerlei üble Nachrede oder Verleumdung könne mir etwas ausmachen; und zuweilen hat mir die Erfahrung wirklich gezeigt, dass ich mich darüber sogar freuen konnte; dann aber gibt es Tage, an denen mich schon ein einziges Wort betrübt und ich am liebsten aus der Welt scheiden möchte, weil mir alles unerträglich wird. Aber nicht nur mir ergeht es so, sondern ich habe es auch bei vielen anderen Personen beobachtet, die besser sind als ich, und weiß darum, dass es wirklich so ist." (cap. 38,5)
Ähnlich handelt es sich um Selbstüberschätzung, wenn man sich „in einer gewissen Sicherheit wiegt, auf keinen Fall mehr in frühere Sünden zurückzufallen", sozusagen die Welt schon überwunden zu haben (cap. 39,6). Solche unbegründete Sicherheit verführt den Menschen zu leichtsinniger Unvorsichtigkeit, seine Wachsamkeit schläft ein. Dies kann zu einem schweren Sturz führen. Die Vaterunser-Bitte, nicht in Versuchung zu geraten, schließt also in erster Linie ein, vor solcher Selbst-Täuschung beschützt zu bleiben.
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Die andere Versuchung ist gewissermaßen das Gegenteil, auch dies kennt Teresa aus eigener Erfahrung:
„... während es manchmal tatsächlich Demut und Tugend sein kann, sich selbst als schlecht einzuschätzen, kann es ein andermal die größte Versuchung sein. Weil ich selbst diese Anfechtung durchlitten habe, kenne ich sie." (cap. 39, 2).


Es ist die Anfechtung der verkehrten „Demut": Die Erkenntnis der eigenen Armseligkeit und Sünde nimmt allen Mut, quält und lähmt, kann bis zum Zweifel an Gottes Barmherzigkeit führen. Es handelt sich nur dem Schein nach um die Tugend der Demut; unter der Hülle steckt die Versuchung zum Misstrauen gegenüber Gott (cap. 39,3). Die echte Demut dagegen:
„... so groß sie auch sein mag, beunruhigt, verängstigt und verwirrt die Seele nicht, sondern bringt ihr Frieden, innere Freude und Ruhe. Auch wenn jemand beim Anblick seiner Armseligkeit klar erkennt, dass er die Hölle verdient hat, wenn er traurig wird und meint, alle müssten ihn zurecht verabscheuen, wenn er fast nicht um Erbarmen zu bitten wagt: Liegt echte Demut zugrunde, dann ist dieser Schmerz so mild und mit solcher Freude verbunden, dass man ich ihn nicht mehr missen möchte [...] er macht die Seele weit und befähigt sie, Gott mehr zu dienen." (cap. 39,3). Teresa fügt hinzu, es könne vorkommen, dass jemand von solchen Gedanken der eigenen Erbärmlichkeit niedergedrückt werde, ohne ihrer Herr zu werden. „Aber es ist schon sehr viel, wenn ihr die Versuchung als solche erkennt", das bedeutet nämlich: die Möglichkeit zu ergreifen, von den bedrängenden Gedanken bewusst Abstand zu nehmen - und somit frei zu werden. So gut man könne, rät Teresa, soll man an die Barmherzigkeit Gottes, die Größe seiner Liebe und an das Leiden Christi für uns denken (cap. 39,4).

Die Bitte um die endgültige Befreiung von allem Bösen schließlich beinhaltet die Bitte um das Eingehen-Dürfen ins ewige Leben (cap. 42). Sie wächst nicht aus Müdigkeit oder Verzagtheit, sondern aus großer Sehnsucht. In vollkommener Weise wird sie, so Teresa, von denjenigen Menschen ausgesprochen, denen Gott durch die Beschauung schon einen Vorgeschmack gegeben hat auf die Fülle des Himmels, so dass sie an diesem Leben nicht mehr hängen. Wie die Bereitschaft zu vergeben, so gilt auch die Sehnsucht nach dem ewigen Leben als ein deutliches Zeichen für die Echtheit kontemplativer Gnaden (Cap. 42,3).


Das Vaterunser beginnt, unter der Führung der Worte Jesu, mit der Hinwendung zu Gott, der den Menschen „im kleinen Himmel der Seele" schon erwartet, und endet mit der sicheren Hoffnung auf die Fülle des ewigen Lebens. Dazwischen liegt der Weg wachsenden Vertrauens und tiefer werdender Liebe zu Gott. So schließt Teresa den „Weg der Vollkommenheit" mit den Worten:
„Seht, Schwestern, wie der Herr mir zu Hilfe kam, da er euch und mich den Weg lehrte, den zu erklären ich begonnen habe! Und er hat mich erkennen


lassen, welche Fülle wir mit diesem Gebet des Evangeliums erbitten. Gepriesen sei er in Ewigkeit! Denn mir wäre es gewiss nie in den Sinn gekommen, dass dieses Gebet so tiefe Geheimnisse enthalten könnte. Wie ihr gesehen habt, beinhaltet es ja den gesamten Weg des geistlichen Lebens von seinen Anfängen bis zu dem Punkt, da Gott die Seele in sich versenkt und ihr überreich aus der Quelle lebendigen Wassers zu trinken gibt ..." (Cap. 42,5).


[1] Es gibt mehrere deutsche Übersetzungen, auch Auswahl-Ausgaben, des „Weges der Vollkommenheit", die Zitation bezieht sich hier auf: TERESA VON AVILA, Der Weg der Vollkommenheit, hrsg. vom Karmel St. Josef-Hauenstein, 1992.



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