6.W.K.7.6.
Auch mögen manche Seelen meinen, sie könnten nicht an die Passion14 denken; dann werden sie das bei der
allerseligsten Jungfrau15 oder dem Leben der
Heiligen wohl noch weniger fertig bringen, wo doch die Erinnerung an sie uns so
großen Nutzen und Frommen bringt. Ich kann mir nicht denken, woran sie
überhaupt denken, denn von allem Körperhaften getrennt, immer in Liebe
entflammt zu sein, ist etwas für engelhafte Geister, nicht aber für uns, die
wir noch in diesem sterblichen Leib leben,16
wo es nötig ist, mit denen zu reden, an die zu denken und sich von denen begleiten
zu lassen, die – als sie noch einen Leib hatten – so große Taten für Gott
vollbrachten. Noch weniger kann ich mir denken, sich absichtlich von unserem ganzen
Gut und Heil zu entfernen, welches die allerheiligste Menschheit unseres Herrn
Jesus Christus ist. Ich kann nicht glauben, dass sie das tun, sondern dass sie
es nicht durchschauen, und so fügen sie sich und anderen Schaden zu. Zumindest versichere
ich ihnen, dass sie nicht in die beiden letzten Wohnungen eintreten werden,
denn wenn sie den Führer – den guten Jesus – verlieren, werden sie den
richtigen Weg nicht finden. Es ist schon viel, wenn sie in den übrigen in
Sicherheit verbleiben, denn der Herr sagt selbst, dass er der Weg sei (Joh
14,6) – außerdem sagt der Herr, dass er das Licht sei (Joh 8,12) – und dass
niemand zum Vater gelangen kann, außer durch ihn; und wer mich sieht, sieht
meinen Vater (Joh 14,6.9). Sie werden zwar sagen, dass diese Worte eine andere
Bedeutung haben; ich kenne keine anderen Bedeutungen; mit dieser, die meine
Seele immer als Wahrheit verspürt hat, ist es mir sehr gut gegangen.
Anmerkungen
14
Die Leidensgeschichte Jesu; vgl. V 22,6, wo die Autorin auf diesen Einwand antwortet:
„Wenn unsere Natur oder Kränklichkeit es nicht immer verträgt, an die Passion
zu denken, weil das schmerzlich ist, wer verbietet uns denn, bei ihm als dem
Auferstandenen zu sein, wo wir ihn im Sakrament [der Eucharistie] doch so nahe
haben?“ Vgl. ferner CE 42,4f.
15
Maria, die Mutter Jesu.
16
Vgl. 6M 1,8 und ferner V 22,10; MC 2,3.
(Teresa
von Avila, Wohnungen der Inneren Burg, Vollständige Neuübertragung, Gesammelte
Werke Bd.4, Herder 2005, Herausgegeben, übersetzt und eingeleitet von Ulrich
Dobhan OCD, Elisabeth Peeters OCD)
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