oder:
Zwei Wege laufen
aufeinander zu
Aus der Entstehungsgeschichte
des
Karmel St. Gabriel
Hainstadt am Main, jetzt
Hainburg
(Hervorhebungen von mir)
Sie
haben einander nicht gekannt und haben nichts voreinander gewußt, aber Gott
hatte sie in seiner geheimnisvollen Vorsehung einander zubestimmt. Und ihr
junges Leben und Sterben trägt nun den Karmel St. Gabriel in Hainstadt am Main.
Die
eine war das Kind einer glaubenssicheren und glaubensfrohen katholischen
Lehrersfamilie, geboren im Dezember 1910 und im elterlichen Haus Mainfried zu
Hainstadt am Main getauft, die andere das Kind geistig und weltanschaulich
liberaler Eltern, im August 1911 in Wien geboren und ungetauft.
Gott
rückt zunächst äußerlich die Lebenswege der beiden näher aneinander. Die kleine
Wienerin zieht mit ihren Eltern nach Frankfurt, und die Hainstädter geben ihr
Töchterchen den Ursulinen in Frankfurt am Unterweg in Schule und Internat. Ein
paar Schritte davon geht die andere zur Humboldtschule. Nach dem Abitur
studiert Annemarie Mathematik und Naturwissenschaften und macht 1937 ihr
Staatsexamen; Elisabeth arbeitet im Verlag des Vaters und geht später als junge
Erzieherin ins Ausland. 1936 kommt sie zurück.
Vor
beiden jungen Menschen liegt die Zukunft weit und offen, voller Verheißungen;
beide lebensfroh und lebenstüchtig, der modernen Welt und ihrem Rhythmus
geöffnet und vertraut, die eine am Steuer ihres Wagens, den der Vater ihr zum
Staatsexamen geschenkt hat, die andere eine flinke Sportlerin im Paddelboot und
auf dem Tennisplatz. Aber beide wissen es: das ist nicht ihre Welt. Die eine
weiß es schon lange, und die andere weiß es seit ein paar Monaten, seit dem
Tag, an dem sie mit einer Nonne in Portugal über den Sinn des Lebens sprach.
Am
30. April 1937 setzt sich Annemarie
Hainz an das Steuer ihres Wagens, fährt mit ihren Eltern nach Geisenheim,
wirft den Wagenschlag hinter sich zu, schellt an der Klosterpforte und geht ins
Noviziat der Ursulinen. Am 30. Mai 1937, vier Wochen später, empfängt Elisabeth
Neumann in der Bernarduskirche zu Frankfurt die heilige Taufe. Gott hat ihre
Wege bereits in einem scharfen Winkel aufeinander zugestellt. Aber sie wissen
nichts davon und kennen einander nicht, und niemand weiß etwas davon.
Am
Christkönigsfest 1937 nimmt Annemarie Hainz das Kleid der heiligen Angela und
empfängt den Namen Schwester Maria Gabriele
vom Hl. Geist. Elisabeth Neumann, die junge Konvertitin, findet ihre
Tätigkeit in der Verwaltung des Marienkrankenhauses in Frankfurt. In einem
ernsten und glücklichen Noviziat, das von innen leuchtet, wächst die junge Ursuline
als Ordensfrau und Lehrerin in ihre
Reife
und macht am Fest Maria Opferung 1939 ihre erste Profeß. Weiß sie etwas von
ihrer kurzen Frist, wenn sie manchmal sagt: »über meinem Leben steht Tempo!«?
Ende Oktober 1940 wirft eine tückische Krankheit die junge Schwester aufs
Sterbelager, und während des Hochamtes am Christkönigsfest auf die Stunde drei
Jahre nach ihrer Einkleidung, folgt sie dem Ruf ihres Königs in den Armen ihrer
Mutter: Veni sponsa! Ihre Eltern tröstet sie: »Der höchste König ruft mich! Wie
freue ich mich. In mir ist lauter Freude!« Ihr letztes Wort ist: »Stichwort
bleibt: Christus, das Wort des Lebens!«
In der kleinen Totenkapelle des
Krankenhauses steht Elisabeth Neumann vor der jungen toten Nonne, die sie nicht
kennt, und denkt, daß es wohl schön sein mag, so jung und gut zu sterben. Aber sie weiß nicht, daß Gott den Wegzeiger ihres
Lebens auf Mainfried in Hainstadt gedreht hat. Niemand weiß es.
Am
Allerseelentag tragen wir die tote Schwester Maria Gabriele zu den Gräbern
ihrer Mitschwestern auf den Frankfurter Hauptfriedhof und betten sie zu den
Füßen ihres gekreuzigten Königs.
Elisabeth
Neumann geht ihren täglichen Weg zum Beruf durch die Jahre des Krieges und der
Bomben, einen Weg vieler innerer Sorgen und drohender persönlicher Gefahren, um
die nur wenige wissen. In jeder Mittagspause kniet sie eine Stunde in betender
Betrachtung vor dem Tabernakel der Bernarduskirche. Sie weiß, daß ihre
Konversion nur der Anfang eines Weges ist, daß sie ihn zu Ende gehen muß, daß
Gott ihr ganzes Opfer will.
Nach
ernster Prüfung bittet sie im Herbst 1946
die unbeschuhten Karmelitinnen im Karmel St. Josef in Bonn-Pützchen um
Aufnahme und wird am 30. Mai 1947, an ihrem zehnten Taufgedenktag, dort
eingekleidet. In der Form des Kreuzes auf den Boden hingestreckt, bekennt sie
sich zu dem mystischen Leiden und Sterben mit Christus in einem Leben des
Gebetes, der Buße und des Opfers. Sie
erhält den Namen Maria Isabella vom Heiligen Geist und beginnt als reife,
geistig selbständige und durchgeformte Persönlichkeit das harte und strenge
Noviziat dieses alten Bußordens der Kirche in Armut und Gehorsam.
Das
Haus Mainfried in Hainstadt steht unterdessen verwaist und einsam.
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