Mittwoch, 8. Oktober 2014

Teresa vor der Bildsäule (1/7)

Theresia hatte schon das vierzigste Lebensjahr erreicht, als ihr ein gewöhnlich-ungewöhnliches Erlebnis widerfuhr. Sie war eines Abends im Begriffe, in ihre weiträumige Zelle zu gehen, und bemerkte dabei eine zufällig an die Wand gestellte Statue, die noch heute im Kloster hoch in Ehren gehalten wird. Sie stellt Christus an der Säule dar im Augenblick, da er von Kriegsknechten gegeißelt wird. [...]

Bild und Wort ergänzen sich gegenseitig; sie gehören zusammen. Dies erfuhr auch Theresia. Nachdenklich blieb sie vor dem Bilde stehen und schaute es gründlich an. Der mit vielen Wunden bedeckte, blutüberströmte Herr erduldete die Qualen, ohne aufzuschreien. Die grausame Szene darf man nicht mit dem lahmherzigen Gefühl betrachten: „Es ist mir allzu realistisch dargestellt, mit sind liebliche Szenen angenehmer.“ Zwar hatte Theresia schon oft ähnliche Bildergesehen, aber ohne sich dabei etwas zu denken, war sie gleichgültig an ihnen vorüber gegangen.

(Walter Nigg)



Leidender Christus, Avila

Kloster der Menschwerdung

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