Sonntag, 11. Oktober 2015

„O Du wahrhaft Liebender!“

Mit wieviel Erbarmen, mit welch sanfter und zärtlicher Beglückung heilst Du uns die Wunde, die Du selbst mit deinem Pfeil verursachtest. O mein Gott, Du Stiller aller Leiden, wie ungereimt rede ich doch! Wie könnten denn menschliche Mittel die Wunden des göttlichen Feuers heilen? Wer kennt die Ursache und Tiefe dieser Wunden? Wer weiß diese glückselige Qual zu lindern? Es wäre widersinnig, die kostbare göttliche Wunde mit den geringen Mitteln der Sterblichen heilen zu wollen. Mit wieviel Recht sagt die Braut im Hohen Lied:
„Mein Geliebter ist mein, und ich bin sein.“
Denn eine solche Liebe kann unmöglich von einer Unzulänglichkeit wie der meinen ihren Ausgang nehmen.

Wieso dann aber, geliebter Bräutigam, bleibt diese Unzulänglichkeit nicht bei den geschaffenen Dingen stehen, sondern schwingt sich zu ihrem Schöpfer auf? O mein Gott, warum kann ich sagen, ich bin Dein? Du, mein wahrhaft Liebender, hast diesen Liebeskrieg begonnen, der nichts anderes ist als eine Beunruhigung und ein Ausgesetztsein aller Sinne und Seelenkräfte, die gleich der Braut im Hohen Lied hinausgehen auf die Straßen und Plätze, um die Töchter Jerusalems zu beschwören, ihr zu sagen, wo sie Gott finde. Denn, Herr, wenn diese Schlacht begonnen hat - wer ist ihr Gegner, wenn nicht JENER, der die Burg besetzt hat, die sie bewohnten, d.h. den höchsten Teil der Seele, und der sie von dort vertrieb, damit sie umkehrten, ihren Eroberer zu erobern. Ohne ihn sind sie schnell ermüdet und je mehr sie ihren Widerstand aufgeben, umso besser kämpfen sie. Schließlich erklären sie sich für besiegt und besiegen so ihren Besieger.

Ach, meine Seele, welch wunderbare Schlacht hast du in diesen Kämpfen geschlagen und wie buchstäblich erfüllt es sich so! Denn mein Geliebter ist mein und ich bin sein: Wer vermöchte zwei so flammende Feuer zu trennen oder zu löschen? Vergeblich wäre das Bemühen, denn beide sind eins geworden.   

(Teresa von Avila, vgl. Erika Lorenz: Ich bin ein Weib und obendrein kein gutes)


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