Gott hatte gesagt: „Seid heilig, weil ich heilig bin!“ [Lv 11,44]. Aber er war so verborgen und unnahbar. Er musste zu seinen Geschöpfen herabsteigen, ihr Leben leben, damit sie seinen Fußstapfen folgen, so wieder zu ihm hinaufsteigen und heilig werden konnten.
„Ich heilige mich selbst für sie, damit auch sie in der Wahrheit geheiligt seien.“ (Joh 17,19). Ich betrachte jetzt das Geheimnis, das den Zeiten und Geschlechtern verborgen ist, das Geheimnis, das Christus selbst ist, der für uns die „Hoffnung der Herrlichkeit“ ist, wie der hl. Paulus sagt. Er fügt hinzu, ihm sei das Verständnis dieses Geheimnisses verliehen worden. Von diesem großen Apostel will ich mich also belehren lassen, um in den Besitz jener Wissenschaft zu gelangen, die alles Erkennen übersteigt, die Wissenschaft nämlich von der Liebe Christi (Eph 3,19).
Zuerst sagt er mir, dass er mein Friede ist. „Durch ihn habe ich Zutritt zum Vater; denn es hat dem Vater der Lichter gefallen, dass in ihm alle Fülle wohne, dass durch ihn alles mit ihm versöhnt werde, sowohl was auf Erden, als was im Himmel ist.“ (Kol 1,19 ff). „Ihr seid in ihm erfüllt“, so spricht der Apostel im 2. [sic] Kolosserbrief [vgl. Kol 2,10], „und in der Taufe mitbegraben mit ihm, auch auferstanden mit ihm durch den Glauben an die Macht Gottes ... Er hat euch mitbelebt mit ihm, indem er (der Vater) euch alle Sünden vergab und die Handschrift des Urteils, die wider uns war, auslöschte, wegnahm und ans Kreuz heftete“ (Kol 2,10 ff), „damit wir heilig, untadelhaft und unsträflich vor ihm seien.“ (Kol 1,22). So handelt Christus mit jeder Seele, die guten Willen hat und seine unendliche, übergroße Liebe drängt ihn, dies auch in mir zu wirken.
Er will mein Friede sein, damit nichts mich zu zerstreuen und aus jener unerschütterlichen Burg der heiligen Sammlung zu vertreiben vermöge. Dort wird er mir Zutritt zum Vater geben und mich in seiner Gegenwart erhalten, als ob meine Seele sich schon in der Ewigkeit befände. Durch sein am Kreuz vergossenes Blut wird er alles in meinem Innern zur Ruhe bringen, damit dieses wirklich die Ruhestätte der allerheiligsten Dreifaltigkeit werde ... Er wird mich mit sich erfüllen, mich in sich begraben, er wird mich in sich leben lassen, leben von seinem Leben: „Mihi vivere Christus est – Christus ist mein Leben!“ (Phil 1,21).
Und wenn ich auch jeden Augenblick falle, so will ich im gläubigen Vertrauen mich von ihm aufheben lassen; denn ich weiß, dass er mir alles verzeihen wird. Ja, mehr als dies! Er wird mich berauben, befreien von all meinem Elend, von allem, was die göttliche Wirksamkeit hindert. Er wird „meine Gewalten“ (Seelenkräfte) mit sich gefangen fortführen, über sie triumphieren durch sich selbst. Dann werde ich ganz in ihm eingegangen sein und sagen können: „Nicht ich lebe, sondern Christus lebt in mir!“ x Und ich werde heilig, rein und untadelhaft sein in den Augen des Vaters.
x [Gal 2,20; Elisabeth schreibt hier nicht „Christus lebt in mir“, sondern „mein Meister lebt in mir“. Die Verfasserin der „Souvernirs“ scheint bei den Textwiedergaben, was den Wortlaut betrifft, nicht immer so genau zu sein, weil sie vielleicht aus dem Gedächtnis oder nur dem Sinn nach zitiert. Dies tut dem Inhalt aber keinen wesentlichen Abbruch. Vgl. Sagordy / Karl / Reiter, ebd., Bd. 1, S. 33 f. Teilweise liegt es auch an der Übersetzung, die nicht immer den Wortlaut trifft, sondern freier übersetzt.]
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